OGH-Rechtsprechung zur Zustellung durch Hinterlegung

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8 Ob 139/22g – OGH-Rechtsprechung zur Zustellung durch Hinterlegung

 

Zum Sachverhalt

Die beklagte GmbH hatte Büroräumlichkeiten in der Steuerberatungskanzlei ihres Buchhalters, der auch zur Entgegennahme von Postsendungen für die Beklagte bevollmächtigt war. Ebenso war die Adresse der Steuerberatungskanzlei als maßgebliche Geschäftsadresse der Beklagten im Firmenbuch eingetragen. An dieser Adresse wurden regelmäßig Sendungen für die Beklagte übernommen.

 

An jener Adresse (die der Steuerberatungskanzlei) wurde durch Hinterlegung die gegenständliche Klage zugestellt, ebenso die Hinterlegungsanzeige dort hinterlassen. Eine Woche nach der Zustellung durch Hinterlegung bewilligte das Firmenbuchgericht die Änderung der Geschäftsanschrift der Beklagten, wovon das Erstgericht durch die beklagte Partei nicht verständigt wurde. Da keine Klagebeantwortung erstattet wurde, beantragte die Klägerin die Erlassung eines Versäumungsurteils. Dieses wurde vom Erstgericht an die aktenkundige Adresse, also jene der Steuerberatungskanzlei zugestellt. Da kein Rechtsmittel erhoben wurde, wurde das Urteil rechtskräftig und vollstreckbar.

 

In weiterer Folge beantragte die Beklagte die Aufhebung der Vollstreckbarkeit und legte Widerspruch gegen das Versäumungsurteil ein: Sie brachte vor, dass der Postzusteller hätte erkennen müssen, dass eine wirksame Zustellung an die Adresse der Steuerberatungskanzlei nicht möglich sei und dass sie die Hinterlegungsanzeige nie erhalten habe.

 

Das Erstgericht wies die Anträge der Beklagten ab und begründete dies damit, dass es die Beklagte verabsäumt hatte, das Gericht hinsichtlich der Adressänderung zu informieren. Daher sei die Zustellung durch Hinterlegung wirksam erfolgt.

 

Gegen diese Entscheidung richtete sich der Rekurs der Beklagten, dem das Rekursgericht stattgab und die Aufhebung der Vollstreckbarkeit sowie den Widerspruch zuließ.  Das Rekursgericht verneinte eine wirksame Zustellung mit der Begründung, dass eine Zustellung durch Hinterlegung an einen Postbevollmächtigten nicht möglich sei und es sich bei der Steuerberatungskanzlei in Folge der Änderung des Geschäftssitzes, nicht um eine Abgabestelle der Beklagten im Sinne des Zustellgesetzes handle.

 

Gegen die Entscheidung des Rekursgericht erhob die Klägerin, vertreten durch HSP.law, Revision an den Obersten Gerichtshof. Dieser erklärte die Revision für zulässig und wies die Entscheidung zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

 

Rechtsansicht des OGH

  1. Zum Zustellbevollmächtigten

Der OGH wiederholte seine bisherige Rechtsprechung und stellte klar, dass eine bevollmächtigte Person nur bei einer direkten Zustellung durch Ausfolgung der Sendung den eigentlichen Empfänger vertritt. Es kann aber nicht bei vorübergehender Abwesenheit des Bevollmächtigten durch Hinterlegung wirksam zugestellt werden.

 

  1. Zur Frage der Abgabestelle

Eine wirksame Zustellung setzt das Vorliegen einer Abgabestelle des Empfängers voraus. Darunter sind unter anderem der Sitz, die Betriebsstätte oder die Geschäftsräume des Empfängers zu verstehen.  Der Sitz ist jener Ort, an dem sich die Hauptverwaltung eines Unternehmens befindet. Die Eintragung der Geschäftsanschrift im Firmenbuch bedeutet für sich allein noch nicht, dass an diese Adresse auch zugestellt werden kann. Im gegenständlichen Fall hatte die Beklagte ihre Büroräumlichkeiten auch in der Steuerberatungskanzlei. Es liegt jedoch nur dann eine Abgabestelle vor, wenn sich der Empfänger, in diesem Fall der Geschäftsführer der Beklagten, dort auch tatsächlich regelmäßig aufhält. In diesem Fall wäre eine Zustellung durch Hinterlegung möglich. Die Anwesenheit eines Postbevollmächtigten ist allerdings nicht ausreichend, um eine Abgabestelle zu begründen.  Hält sich der Empfänger im Zeitpunkt der Zustellung der Klage regelmäßig in den Büroräumlichkeiten auf, wäre eine Zustellung durch Hinterlegung wirksam. Unterlässt er es in weiterer Folge das Gericht von der Adressänderung zu informieren, geht dies zu seinen Lasten, sodass eine Zustellung durch Hinterlegung ohne vorherigen Zustellversuch wirksam ist.