Die neueste Rechtsprechung zum Lagezuschlag

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Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zum Lagezuschlag ist um ein weiteres brisantes Kapitel reicher. In der Entscheidung vom 20. Juli 2021 spricht der OGH interessanterweise einer im achten Wiener Gemeindebezirk gelegenen Wohnung, entgegen der bisherigen Rechtsprechung, den Lagezuschlag ab. Diese Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben.

 

Grundsätzlich wird der Lagezuschlag nur berücksichtigt, wenn das Gebäude, in welchem sich die Wohnung befindet, in einer Lage gelegen ist, welche besser als die durchschnittliche Lage ist. Zusätzlich sind die für den Lagezuschlag maßgeblichen Umstände bis spätestens beim Zustandekommen des Mietvertrages ausdrücklich bekanntzugeben. Entscheidend ist hierbei einerseits die allgemeine Verkehrsauffassung und andererseits die Erfahrungen aus dem täglichen Leben. So kommt ein Lagezuschlag aufgrund von Bildungsinfrastruktur wie Kindergärten oder Schulen, Nähe zu Apotheken sowie Ärzten, Nähe zu Geschäftslokalen, nahegelegene öffentliche Verkehrsmittel wie Straßenbahnen oder U-Bahnen sowie generell Naherholungsflächen in Betracht.

 

Zu beachten ist weiters, dass der Lagezuschlag vom Vermieter nur bei Wohnungen geltend gemacht werden kann, bei welchen der Richtwertmietzins zur Anwendung kommt. Der Richtwert gilt etwa für einen Großteil der Wohnungen, welche unter den Vollanwendungsbereich des Mietrechtgesetzes (=MRG) fallen. Ein Lagezuschlag kommt demnach nicht für sogenannte „Gründerzeitviertel“ in Betracht. Dies ist eine Wohnumgebung mit einem überwiegendem Gebäudebestand, welcher in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und zum Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen der Kategorie D (sogenannte Substandardwohnungen) aufwies.

 

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes sorgt deshalb für Aufsehen, weil die innerhalb des Gürtels gelegene Wohnung grundsätzlich alle Voraussetzungen für den Lagezuschlag nach der bisherigen Rechtsprechung erfüllen würde. So handelt es sich bei der gegenständlichen Wohnung auf den ersten Blick um ein topsaniertes Objekt in überdurchschnittlicher Lage. Fußläufig können sowohl die U-Bahn-Station Josefstädter Straße der Linie U6 als auch drei Straßenbahnlinien bequem erreicht werden. Ebenso befinden sich in unmittelbarer Nähe zwei kleine Parkanlagen, zwei Theater und zwei Palais mit kulturellem Angebot. Weiters ist der erste Bezirk zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schnell erreichbar. Ebenso können Geschäfte des alltäglichen Bedarfs, Ärzte, ein Markt und Apotheken fußläufig erreicht werden. Somit wären prinzipiell alle Voraussetzungen für einen Lagezuschlag erfüllt.

 

Anstoß für den Rechtsstreit bildete eine Mietzinserhöhung des besagten Objektes, woraufhin der Mieter die Überprüfung der Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses bei der Schlichtungsstelle beantragte. Nachdem es vor der Schlichtungsstelle zu keiner Einigung kam, wurde in der Folge das zuständige Bezirksgericht zur Entscheidung angerufen. Dieses stellte fest, dass die Voraussetzungen des Lagezuschlages durch die oben beschriebene Umgebung erfüllt sind und beurteilte die Lage als überdurchschnittlich. Die Lärmbeeinträchtigung durch den Gürtel aufgrund der straßenseitigen Lage wurde mit einem Abschlag von 15% berücksichtigt. Ein Lagezuschlag in Höhe von EUR 3,50 pro m² wäre jedoch gerechtfertigt.

 

Gegen diese Entscheidung erhob der Mieter Rekurs an das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht, welches die Entscheidung des Erstgerichts im Wesentlichen bestätigte. So gab dieses an, dass die individuelle Lärmbeeinträchtigung bereits mittels Abschlags in Höhe von 15% berücksichtigt worden wäre und deshalb kein Grund vorläge, den Lagezuschlag zu verneinen.

 

Gegen diese Entscheidung erhob der Mieter Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof, welcher die Entscheidung überraschenderweise grundlegend korrigierte. So hielt der OGH fest, dass grundsätzlich nicht jede Wohnung außerhalb der „Gründerzeitviertel“ eine überdurchschnittliche Lage aufweist. Ebenso sind Geschäfte des täglichen Bedarfs und die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz im dichtverbauten Stadtgebiet erwartbare Umstände und rechtfertigen daher einen Lagezuschlag nicht.

 

Bemerkenswerterweise gesteht das Höchstgericht zwar zu, dass die konkrete Lage des Objekts aufgrund der Anbindung an das öffentliche Netz sowie die vorhin beschriebenen Umstände selbst für innerstädtische Lagen als überdurchschnittlich angesehen werden kann, stellt dem jedoch die massive Lärmbelastung durch Individual- und Schienenverkehr gegenüber. Dabei bezieht sich der OGH auf eine in diesem Bereich gemessene Lärmbelastung von über 75 Dezibel. Unklar ist jedoch, ob es sich dabei um eine einmalige Messung oder eine durchschnittliche Lautstärke handelt. Zudem griff der Oberste Gerichtshof das Argument des Mieters auf, wonach die in unmittelbarer Nähe gelegene U-Bahnstation Josefstädter Straße aufgrund vorherrschender Kleinkriminalität, damit verbundener Polizeieinsätze und medialer negativer Berichterstattung die Lage weiter beeinträchtigten.

 

Daher kam das Höchstgericht bei Abwägung aller genannten Umstände zu dem Ergebnis, dass die Lage des konkreten Hauses nicht als überdurchschnittlich zu qualifizieren ist und daher kein Lagezuschlag zusteht. Der Vermieter wurde zu einer Rückzahlung des dadurch bisher zu viel geforderten Mietzinses verpflichtet. Die Rechtsprechung des Höchstgerichts vermag allerdings nicht zu überzeugen, weil das Auftreten von Kleinkriminalität in einer Großstadt wie Wien ein bewegliches System darstellt, daher so gut wie überall auftreten kann und zudem erwartbar ist. Ebenfalls stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt von einem Vorliegen die Lage mindernder Kleinkriminalität wie Drogenhandel und Rotlichtarbeit ausgegangen werden kann, ob hier eine bestimmte Anzahl von Straftaten erfüllt werden muss oder ob ausreichende negative Berichterstattung genügen würde. Zusätzlich scheint auch das Aufgreifen der Lärmbelästigung überzogen, weil in Wien in zentralen Lagen üblicherweise mit einer erhöhten Verkehrsbelastung von Individual- und Schienenverkehr zu rechnen ist. Insbesondere liegt ja bereits ein Widerspruch in sich vor, weil die hervorragende öffentliche Anbindung und die damit verbundene überdurchschnittliche Lage in der Regel mit einer erhöhten Lärmbelastung durch die öffentlichen Verkehrsmittel einhergeht.

 

Fazit

Dieses Urteil könnte massive Auswirkungen haben, weil dadurch selbst bestens gelegenen Wohnungen der Lagezuschlag aufgrund sich laufend ändernder und kaum messbarer Faktoren wie Lärmbelästigung und Kleinkriminalität abgesprochen werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob der Oberste Gerichtshof dieser neu eingeschlagenen, durchaus überraschenden Linie treu bleibt, oder ob es durch künftige Entscheidungen zu einer Revidierung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung kommen wird.

 

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